Hellcat
Midcard
Roxanne Lockhart – Prolog I
Vor zehn Jahren…
Seit etwa gut einem Jahr ist Roxanne schon fast vollzeit-mäßig im Praktikum drin und sie liebt es. Nichtsdestotrotz hat es sie überrascht, wie viel Zeit die Kleinkinder täglich in Anspruch nehmen und daher ist sie eigentlich nicht wirklich dazu gekommen, die Kolleginnen so richtig kennen zu lernen. Aber heute hat sich die Gelegenheit endlich geboten, mal ein wenig Techtelmechtel mit der freundlichen Kollegin Karolin zu betreiben.
So sitzen eine frisch designierte Erzieherin und eine alteingessene Kindergärtnerin gemeinsam am Tisch in kleinem Bürozimmer, während die Kleinkinder den Mittagsschläfchen halten.
Roxanne: „Du, die Tür zum Bad klemmt immer mal wieder…“
Karolin: „Ach diese blöde Tür. Pass bloß nur auf, die klemmt manchmal so fest, dass wir es nicht aufkriegen. Der Hausmeister wollte das ja noch reparieren, aber jetzt ist er im Urlaub… nächste Woche ist er aber wieder da.“
Sie zuckt die Achseln und schlürft, wie Roxanne auch, Kaffee aus der Tasse. Nach einem musternden Blick lächelt Roxannes Kollegin.
Karolin: „Mensch, Roxanne, eine bessere Kollegin kann ich mir echt kaum vorstellen.“
Die attraktive, aber doch etwas dürre Frau mit schokoladenbrauner Haut lächelt dankbar.
Roxanne: „Ohne dich wäre ich aber auch wirklich aufgeschmissen, liebe Karolin. Daher ist höchste Eisenbahn, dich endlich mal näher kennenzulernen.“
Karolin: „Ach, pffft, wen interessiert die Karolin. Ich bin nur eine normale weiße, gestresste Frau mit einer Beziehung, die zum Scheitern verurteilt ist… deine Persönlichkeit interessiert mich doch viel mehr.“
Da muss Roxanne doch laut auflachen und legt kurz, aber herzlich eine Hand auf Karolins Schulter.
Karolin: „Also, Roxanne, wo kommst du ursprünglich her? Zumindest nach der Hautfarbe können deine Wurzeln wohl eher nicht in Deutschland liegen. Oh, entschuldige, ich wollte nicht auf die Hautfarbe reiten oder so etwas…“
Roxanne: „Quatsch, nein. Dass ein Deutscher dunkelhäutig ist, ist doch sehr außergewöhnlich, daher ist so eine Frage durchaus berechtigt. Aber du wirst mir nicht glauben – ich bin tatsächlich in Deutschland geboren. Hier in dieser Stadt sogar.“
Karolin: „Ach, nein? Wie kam es denn dazu?“
Roxanne: „Laut meinen Eltern eher eine abenteuerliche Geschichte, aber dazu komme ich später. Mein Vater ist echter Afroamerikaner, er ist in Boston geboren und aufgewachsen, ist dann zur US Airforce gegangen. In Ramstein hier gibt es ein großer Flughafen der Amerikaner und damals im Kalten Krieg hat man sehr viele Soldaten dort stationiert, so auch mein Vater. Als die Mauer gefallen ist, hat er meine Mutter kennengelernt. Und jetzt halte dich fest: Meine Mama kommt ursprünglich aus dem Osten!“
Bei Karolin schießen die Augenbrauen hoch und sie schüttelt leicht den Kopf.
Roxanne: „Doch, doch – wie gesagt, eine abenteuerliche Geschichte. Übrigens ist sie in unserer Familie nicht die einzige Weiße. Meine Schwester Leni kommt ganz nach unserer Mutter.“
Karolin: „Also richtig schön gemischt. Wie alt ist denn deine Schwester und was macht sie denn?“
Roxanne: „Sie ist vier Jahre jünger als ich und ist Teamleiterin in einer Hausbaufirma.“
Karolin: „Wenn ich richtig in Erinnerung habe, hast du mir einmal angedeutet, deine Eltern sind beide Lehrer?“
Sie nickt bestätigend und streicht die blaue, schlichte Bluse glatt, welche die vollen Busen eher abrundet als denn verschleiert.
Roxanne: „So ist es. Er Englischlehrer, sie Chemielehrerin.“
Karolin: „Und wie gefällt es dir hier so? Du hast ja noch Praktikum, aber bald müsstest du den Abschluss in der Tasche haben, oder?“
Die Afroamerikanerin zuckt die Achseln und lehnt sich zurück, während sie die warmen Kaffees nippt. Sie denkt immer noch über den Anfang hier. Als sie hier begonnen hat, war das Staunen und die Neugier unter den Jünglingen extrem groß. Nach wie vor sind Dunkelhäutige in Deutschland recht rar. Das hat ihr zunächst Unwohlsein bereitet, aber die Kleinen haben recht schnell Interesse an ihrer Hautfarbe verloren, als sie gemerkt haben, dass sie vom Charakter nicht anders als die anderen Erzieherinnen ist.
Leider sieht es bei Eltern etwas anders aus. Die allermeisten haben dies auch schnell antizipiert, aber zwei oder drei Elternteile tun sich damit etwas schwer und provozieren hin und wieder mit kleinen Spitzfindigkeiten.
Echte Rassismus hat sie zwar nicht gespürt, aber schon das Gefühl, nicht mit dazu gehören. Dennoch hat sie sich schon von jung auf daran gewöhnt und so ignoriert sie geflissentlich solche Kommentare und Sprüche. Kleinkinder können sich schnell ändern, die Altgewordenen eher weniger. Wie gut, dass es immer noch so viele Menschen wie Karolin gibt, die einfach nur neugierig sind und mehr über die Hintergründe erfahren wollen.
Roxanne: „Ehrlich gesagt, gewöhne ich mich immer noch daran. Ich wollte irgendwie BWL studieren oder so Ähnliches, aber den entsprechenden Abschluss hatte ich nicht. Dennoch habe ich nicht bereut, stattdessen Sozialpädagogik genommen zu haben. Es macht wirklich Riesenspaß mit ganz Kleinen zu trainieren, zu spielen und vor allem Dinge beizubringen. Das ist wirklich toll!“
Karolin: „Ja, das habe ich immer wieder bei der Arbeit deutlich gemerkt. Also kannst du dir eine Zukunft als Erzieherin vorstellen?“
Roxanne: „Ich würde am liebsten nicht anderes als das machen. Höchstens vielleicht etwas, was ich mit Kindern machen kann.“
Karolin: „Super, dann glaube ich, dir steht ein perfekter Abschluss nichts im Wege… aber Roxanne, du musst mir echt erzählen wie deine Eltern sich kennen gelernt haben.“
Roxanne: „Hihihi! Also es begann im Jahr 1989…“
Doch sie wird durch ein plärrendes Geschrei im Nebenziemmer unterbrochen. Sie seufzt, während Karolin die Augen rollt und schon halb auf dem Weg ist. Roxanne richtet sich auf und räumt die Tassen weg.
Karolin: „Die Arbeit schreit…“
Roxanne: „Wohl wahr – Fortsetzung folgt!“
Lacht die zierliche, aber hochgeschossene Frau und folgt ihre Kollegin…